Wenn etwas so Grausames geschehen ist, realisiert man es gar nicht richtig und hat auch keine Ahnung was zu tun ist. Als wir es erfuhren trafen wir uns alle, saßen nur da und schwiegen größtenteils. Wir waren alle überfordert. Die Polizei sagte uns grob was passiert war, aber eigentlich wussten wir nichts Genaues. Und dann war auch noch Freitag, am Wochenende sind die wenigsten ansprechbar. Es war schrecklich.
Später nutzte ich das Internet, um Ansprechpartner im Trauerbereich zu finden. Leider gestaltete sich das als unerwartet schwierig. Für normale Familienmitglieder wie zum Beispiel Tante, Oma, Cousin oder Freunde gab es keine Anlaufstellen. Man ist schlichtweg völlig allein. Ich telefonierte mich mühsam durch, bekam aber immer zu hören: „Tut mir leid, aber…“. Später bekam ich Tipps von Familienmitgliedern. Es gab am anderen Ende der Stadt tatsächlich eine Gruppe, die sich auch an Trauernde richtete, die „nur“ im zweiten Grad mit dem Verstorbenen verwandt waren. Diese Gruppe war aber leider schon überfüllt – nun gab ich es auf…
Unsere Familie und Freunde gaben sich gegenseitig irgendwie Halt, wir trafen uns oft, je nach Situation schwiegen wir, oder redeten auch viel. Aber was machen Menschen, die nicht über so ein gutes soziales Netzwerk verfügen?
Da ich nun keine Trauergruppe gefunden hatte konzentrierte ich mich auf den Ort an dem Johanna gewaltsam zu Tode gekommen war. Vom ersten Tag an legten fremde Menschen dort Blumen, Kerzen und diverse andere Sachen nieder. Mein erster Impuls war: Da will ich nicht hin! Um begreifen zu können was passiert ist, bin ich dann doch hingegangen.
Die Anteilnahme war unerwartet groß. Genau dort befindet sich ein türkisches Bistro, dass Personal und die Stammkunden helfen uns bis heute. Am Anfang mit Eimern und Wasser, was bei der Sommerhitze und dem Blumenmeer Gold wert war. Heute zünden sie zwischendurch die Kerzen an und stellen die vom Wind umgekippten Fotos wieder auf. Bei Besonderheiten rufen sie uns an.
Die ersten Wochen wollte ich dort keine Gespräche führen, da ich die Blickkontakte vermied wurde ich selten angesprochen. Nach einiger Zeit wurde ich offener und seitdem ist der Ort an dem Johanna getötet wurde für mich eine Art Begegnungsstätte geworden – es entwickelten sich neue Bekanntschaften. Öfters sitzen wir im Bistro oder davor und unterhalten uns mit den Gästen. Das Personal versorgt uns dann unentgeltlich mit Getränken.
Es bereitet mir Freude zu sehen, dass auch nach so langer Zeit fremde Menschen noch Blumen und Kerzen hinstellen – wir pflegen es gerne. Das ist wahrscheinlich meine Art ein kleines Stück die Trauer zu bewältigen…
Vor kurzen habe ich erneut einen Anlauf unternommen Trauerbegleiter oder Trauergruppen zu suchen. Ich telefonierte mich schon wieder stundenlang durch. Durch einige Vermittlungen bekam ich einen Ansprechpartner, der mit tatsächlich weiterhelfen konnte. Es gibt ein Trauer Café – wieder am anderen Ende der Stadt, – dass für alle Trauernden einmal im Monat offen ist. Das werde ich demnächst mal aufsuchen….
Gastautorin: Sigrid Grziwacik